Textprobe

Vorwort

„Wir haben dreißig Jahre verloren“, urteilte der Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler Dennis Meadows auf einer Vortragsreise im Oktober 2006 – entscheidende Jahre, um noch das Ruder herumzureißen. Nun sei es zu spät. Die Menschen hätten die für das Ökosystem tragbare Grenze überschritten. Jetzt könne es nur noch darum gehen, den Schaden zu begrenzen. Diese Erkenntnis aus seiner Rede hatte mich vor zwei Jahren wieder einmal verunsichert, weil ich seinen Worten immer noch nicht glauben wollte. Genauso verunsichert wie damals in meiner Zeit als pubertierender Jugendlicher während der ersten Ölkrise 1973, als ich beim autofreien Sonntag mit seinem Buch „Grenzen des Wachstums“ unter dem Arm über die leere Autobahn in Essen wanderte und mir schwor etwas für die Umwelt zu tun. In seiner vom Club of Rome in Auftrag gegebenen Studie stellte Meadows fest, dass der rasch anwachsende Verbrauch an Rohstoffen nicht mehr tragbar sei und prognostizierte, dass die ersten Anzeichen eines gestörten Ökosystems in rund vierzig Jahren zu verspüren sein würden. Eindringlich rief Meadows damals die Wirtschaft, Politiker und Experten zum Handeln auf und betonte, die schlimmsten Folgen seien noch abwendbar. Seitdem sind 36 Jahre vergangen, in denen nur wenige seinen Rat hören wollten. Erst heute, wo der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten ist und sich die Umweltkatastrophen häufen, beeilen sich selbst die bislang ignorantesten Staaten, dem Kyoto-Protokoll beizutreten. Jeder der seit Jahrzehnten die Natur ausbeutenden und verschmutzenden Großkonzerne will heute „nachhaltiger“ und „ökologisch verantwortlicher“ agieren als der andere und selbst die russische Energie-Mafia investiert im großen Stil in deutsche Windkraftparks. Wird nun doch noch alles gut oder bläst uns die Regierung und die Wirtschaft nur Sand in die Augen, um uns ruhig zu stellen? Die zur Beantwortung der Frage notwendigen Informationen sind extrem widersprüchlich und selbst schon zu einer Glaubensfrage geworden. Hilft es beispielsweise der Umwelt, wenn der Ölgigant BP sich ein neues Image zulegt, in das lukrative Solarzellengeschäft einsteigt und sich anstatt „British Petroleum“ neuerdings „Beyond Petroleum“ nennt? Der Geschäftsbereich macht zwar nur knapp 1,5 Prozent des Gesamtumsatzes aus, ist aber in der Branche herausragend und die Firma auf dem richtigen Weg – meinen die Manager von immerhin 13 Ökofonds, die Aktien dieser Firma als ökologisches Top-Investment verkaufen. Sich ein grünes Mäntelchen umhängen, die Unternehmensdarstellung grün waschen und sich „nachhaltig“ aufplustern, aber im Stillen weiterproduzieren und Profite einheimsen wie bisher: Das ist die Taktik vieler Dinosaurier-Industrien des „fossilen Zeitalters“. Dabei wird die Wahrheit verdreht, der Verbraucher getäuscht, für dumm verkauft und gelogen, dass sich die Balken biegen. Damit sind keine Lügen im strafrechtlichen Sinne gemeint, sondern die vielen kleinen und auch großen Lügen der Desinformation. Es sind Aussagen in der Werbung, der Unternehmensdarstellung und bei der Lobbyarbeit, von denen die Industrie weiß oder zumindest vermutet, dass sie unwahr sind, und die sie mit der Absicht äußert, dass die Hörer sie trotzdem glauben. Dies geschieht, um einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen oder um einen Fehler bzw. eine verwerfliche Handlung zu verdecken und so Kritik oder Strafe zu entgehen. Viele Beispiele für ein solches Vorgehen, die mich bewegt und wütend gemacht haben, sind in diesem Buch versammelt.

So erwacht etwa die schon längst tot geglaubte Branche der Atomindustrie zu neuem Leben, bekommt Umweltsiegel verliehen und stellt sich als Klimaschützer Nummer eins dar, weil sie angeblich kein CO2 erzeuge – was weder stimmt, noch das entscheidende Problem der Endlagerung des strahlenden Mülls klärt. Stromkonzerne malen ein nicht existentes Schreckgespenst einer Stromlücke an die Wand und forcieren gleichzeitig den Bau neuer klimabelastender Mega-Kohlekraftwerke mit Laufzeiten von vierzig Jahren und mehr. Einer der weltweit größten Pestizidhersteller verspricht seit Jahrzehnten zumindest auf die allergefährlichste Giftmischerei zu verzichten, tut es aber nicht und verkauft seine todbringenden Substanzen immer noch in Entwicklungsländern. Gleichzeitig stellt er sich mit geschönten Zahlen als erfolgreicher Klimaschützer in Deutschland dar und fordert weniger staatliche Reglementierung. Auch die Bundesregierung verkauft sich in der Welt als klimapolitischer Vorreiter, obwohl sie sich jahrzehntelang von der deutschen Autoindustrie an der Nase herumführen ließ und noch heute entscheidende Punkte des EU-Klimapaketes blockiert. Ihren folgenschweren Irrtum der staatlichen Förderung des Geschäfts mit sogenanntem „Bio“-Sprit aus Palmöl und Soja vermag sie nur schwer zugeben. Erst als es offensichtlich wurde, dass das Big-Business mit „Bio“-Sprit Millionen Menschen in Entwicklungsländern in Hunger und Armut treibt, begann ein Umdenken. Bei unserer eigenen Ernährung fand dieses hingegen schon vor vielen Jahren statt. Die Einführung eines staatlichen Öko-Siegels brachte einen Bio-Boom auf den Weg, dem sich heute kein Billig-Discounter mehr entziehen kann. So positiv diese Entwicklung im Allgemeinen zu bewerten ist, so sehr wird auch klar, dass damit nur Mindeststandards gesetzt wurden und die massenhafte Produktion biologischer Lebensmittel und deren Weiterverarbeitung an ihre Grenzen stößt und den ökologischen Grundgedanken in Frage stellt. Ökologie meint nämlich nichts anderes als leben und produzieren in nachhaltigen Kreisläufen. Das ist in einer auf Massenproduktion, schnellen Profit und globale Ausbeutung ausgerichteten Wirtschaft grundsätzlich nicht zu haben. Auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird. So ist der Begriff der Nachhaltigkeit das meistmissbrauchte Wort der letzten Jahre geworden. Heute benutzt es sinnentleert praktisch jeder zur Propagierung seines wirtschaftlichen und politischen Handelns. Der Verbraucher wird förmlich zugeschüttet mit Nachhaltigkeitssiegeln, Zertifikaten, Labeln und Selbstverpflichtungen, die sich alle in kleinen, aber in ihren Auswirkungen wesentlichen Feinheiten voneinander unterscheiden. Neben ökologischer Weitsicht versprechen sie soziale Verantwortung und einen fairen wirtschaftlichen Umgang miteinander. Doch in vielen Fällen ist nicht „Fair“ und „Bio“ drin, wo „Fair“ und „Bio“ draufsteht. Hier will ich dem Verbraucher auf dem Weg durch den Labeldschungel mit Aufklärung und Tipps zur Seite stehen. Es wird endlich Zeit für einen gesetzlich geregelten und öffentlich überprüfbaren Standard für all diese Selbstversprechen und vermeintlich garantierenden Siegel und Label.

Die berühmte Definition der Brundtland-Kommission zur Nachhaltigkeit von 1987 sagt aus: „Entwicklung zukunftsfähig zu machen, heißt, dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können.” Unsere Wirtschaft basiert hingegen auf der Hauptlüge, dass wir auf Pump zukünftiger Generationen leben könnten. Es muss klar werden, dass unser Land nicht zukunftsfähig ist, wenn es weiterhin an dieser Wachstums- und Konsumideologie festhält. Anstatt noch effizientere Kraftwerken zu bauen, sollten wir Kraftwerke mehr und mehr überflüssig machen. Von einer Ökonomie der Maßlosigkeit müssen wir zu einer Ökonomie der Vernunft gelangen. Das verlangt von jedem Einzelnen ein Umdenken, gesündere Ernährung und bewussten Verzicht auf überflüssige und gefährliche Lebensstandards. Niemand braucht wirklich einen PS-Giganten vor der Tür oder muss mehrmals im Jahr in die fernsten Winkel der Erde jetten, um glücklich zu sein. Und niemand braucht pestizidverseuchte Nahrungsmittel und bis in alle Ewigkeit strahlenden Atommüll zum Leben.

Köln, Februar 2009                                              Stefan Kreutzberger